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. . . dem Enz seine Zeit . . . ( Ende )

. . . dem Enz seine Zeit . . . ( Ende )

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Neydhart von Gmunden


Premium (Basic), Hamburg

. . . dem Enz seine Zeit . . . ( Ende )

Mit diesen Bildern beschließe ich meine Grenzgänge in die „Demenz“.
Diese Serie widme ich meiner Mutter, aber auch allen anderen Menschen,
mit und ohne Demenz.

Demenz, ein Leben im Leben oder wie es Arno Geiger liebevoll, fast
zärtlich schreibt: ein Leben im Exil.
Dieser Arno Geiger spricht mir aus dem Herzen. Er zeigt uns auf, dass
Demenz nicht auf Krankheit reduziert zu betrachten ist. Es ist ein Le-
ben in einer für uns „gesunden“ Menschen zunächst unerreichbaren Welt.
Vielleicht ist Demenz so etwas wie marsianisches Leben auf Erden ?
Möglicherweise ist es eine Notfalllösung, eine Art Selbstschutz des Or-
ganismus, der den sich ständig wechselnden Anforderungen des Le-
bens, des geistigen Lebens, nicht mehr gewachsen zu sein scheint.
Er zieht sich zurück auf das, was ihm von Kindheit an vertraut ist. Eine
einfache überschaubare Welt, die allerdings nur noch in den Erinnerung-
en ihre Wurzeln, ihre „Realität“ hat.
Arno Geiger schreibt in seinem Buch über seinen Vater:
„Alzheimer ist eine Krankheit, die, wie jeder bedeutende Gegenstand,
auch Aussagen über anderes als nur über sich selbst macht.
Menschliche Eigenschaften und gesellschaft­liche Befindlichkeiten
spiegeln sich in dieser Krankheit wie in einem Vergrößerungsglas.
Für uns alle ist die Welt verwirrend, und wenn man es nüchtern be-
trachtet, besteht der Unterschied zwischen einem Gesunden und
einem Kranken vor allem im Ausmaß der Fähigkeit, das Verwir­rende an
der Oberfläche zu kaschieren. Darunter tobt das Chaos.
Auch für einen einigermaßen Gesunden ist die Ordnung im Kopf nur
eine Fiktion des Verstandes.
Uns Gesunden öffnet die Alzheimerkrankheit die Augen dafür, wie kom-
plex die Fähigkeiten sind, die es braucht, um den Alltag zu meistern.
Gleichzeitig ist Alzheimer ein Sinnbild für den Zustand unserer Gesell-
schaft. Der Über­blick ist verlorengegangen, das verfügbare Wissen nicht
mehr überschaubar, pausenlose Neuerungen erzeugen Orientierungspro-
bleme und Zukunftsängste.
Von Alzhei­mer reden heißt, von der Krankheit des Jahrhunderts reden.
Durch Zufall ist das Leben des Vaters symptoma­tisch für diese Entwick-
lung. Sein Leben begann in einer Zeit, in der es zahlreiche feste Pfeiler
gab (Familie, Reli­gion, Machtstrukturen, Ideologien, Geschlechterrollen,
Vaterland), und mündete in die Krankheit, als sich die westliche Gesell-
schaft bereits in einem Trümmerfeld solcher Stützen befand.
Angesichts dieser mir während der Jahre heraufdäm­mernden Erkenntnis
lag es nahe, dass ich mich mit dem Vater mehr und mehr solidarisch fühlte.“

Auch ich sehe und empfinde dies so.
Vielleicht ist Demenz die revolutionäre körperlich und geistige Reaktion
hierauf ? Ein gnadenlos radikaler Selbstschutz des menschlichen Organis-
mus auf die ungelösten Fragen, Probleme und Wirrnisse dieser Zeit ?

Arno Geiger schreibt über sein sich wandelndes Interesse am Vater, „weil ich
spürte, dass ich dabei war, etwas über mich selbst zu erfahren; es war ledig-
lich noch unklar, was. Der tägliche Umgang mit dem Vater ließ mich nicht
mehr nur erschöpft zurück, sondern immer öfter in einem Zustand der In-
spiriertheit. Die psychische Belastung war weiterhin enorm, aber ich
stellte eine Änderung meiner Gefühle dem Vater gegenüber fest.
Seine Persönlichkeit erschien mir wiederhergestellt, es war, als sei er der
Alte, nur ein wenig gewandelt. Und auch ich selber veränderte mich.
Die Krankheit machte etwas mit uns allen.“

Zitate aus: Der alte König in seinem Exil (Arno Geiger)

Commentaire 13

  • Le commentaire a été masqué par le propriétaire de l'image
  • Marina Luise 27/11/2019 14:18

    Ein schwieriges Thema, das du sehr gut bildlich dargestellt hast durch die Pfeile, welche die Orientierungslosigkeit zeigen. Erstaunlich ist für mich das Fröhliche, Positive, das aus den Bildern spricht und das man bei diesen Krankheiten nie mitassoziiert.
    Danke für diese Sicht und das Zitat!
  • SLOW-WHITE 04/03/2012 12:56

    Tja,wie geht man mit damit um, wenn sich die eigene Mutter entfernt...Fotos sind ein Weg es zu verarbeiten.Ich probiere es auch gerade selber mit meiner Mutter.
    Unter dem Strich bleibt aber die liebevolle Sicht auf sie.egal was ist und noch kommt.
    Deine Fotos bestärken mich in meiner Ansicht.Sie sind gut gestaltet und bebildern die Schwierigkeiten sehr genau.
    Meint
    Wolfgang
  • † werner weis 02/03/2012 11:38


    #
    insbesondere das rechte Portrait ist wunderbar
    +
    siehe bitte auch:

  • Sylvia R. 01/11/2011 10:34

    Hallo Neydhart,
    vielen Dank nochmal für die Vorstellung dieses Buches! Inzwischen habe ich es durchgelesen und du hattest recht: jede Zeile ist es wert!! Es war sehr hilfreich zu lesen!
    Ein sehr sympathisches Portrait von deiner Mutti übrigens!
    LG Sylvia
  • † werner weis 25/10/2011 15:34



    ich fuhr Fahhrad im lautesten Straßenverkehr und hörte
    Radio, in dem Arno Geiger vorgelesen wurde, von ihm selbst,

    meine ich

    ich fuhr immer weiter und hörte endlos zu bis die Sendung
    zu Ende war - der Text nahm in meinem Kopf Gestalt in Form von

    Bildern an

    -------------------------------------------------------------------------

    es waren derartige Bilder, wie ich sie hier bei Dir sehe -
    Danke!
  • -ansichtssache- 22/10/2011 21:10

    Danke für diese Serie. Der Text von Arno Geiger und deine Gedanken berühren mich sehr, machen mich betroffen und hoffend zugleich. Demenz bleibt eine Krankheit und doch können wir ihr vielleicht ein wenig von dem Schrecken nehmen, wenn wir ihr mit Liebe und Menschlichkeit begegnen. Die Bilder von deiner Mutter strahlen viel Wärme und Lebensfreude aus, das mittlere Foto symbolisch dafür, dass wir nicht wissen, in welche Richtung das Leben mit uns geht.
    Ich wünsche dir und deiner Mutter die nötige Kraft und Zuversicht für den zu gehenden Weg.
    Lieben Gruß
    Danny
  • Neydhart von Gmunden 13/10/2011 21:02

    Liebe Bea,
    ja so sehe ich das auch. "Gnadenlos" sollte eigentlich eine Art Steigerung von "radikal" sein, aber so, wie es sich liest, kommt es nicht rüber.
  • Bea Schilling 13/10/2011 20:25

    auch ich möchte dir für deinen Beitrag danken. Eine Frage hätt ich noch: du schreibst weiter oben etwas von einem "gnadenlos radikalen Selbstschutz". Dem "radikalen Selbstschutz" stimme ich zu, aber ich glaube nicht, dass er gnadenlos ist. lg:bea
  • christine frick 13/10/2011 18:52

    Deine Geschichten zu den Bildern lese ich immer mit großem Interesse, zuma lmeine Mutter auch so schwer krank war und zum Schluß absolut unfähig sich selbst zu versorgen.
    LG Chris
  • Sylvia Sivi 12/10/2011 20:27

    sehr schön und einfach wunderbar dargestellt..
    dazu ...
    am montag starb die mama meiner freundin bei einer operation..
    einen tag zuvor im krankenhaus(sie hatte auch alzheimer )
    sagte sie zu ihrem mann..zieh morgen den schwarzen anzug an, denn wir gehen zu einem fest

    danke für deinen beitrag
    lg sivi