Im großen Schweigen
Sylt, Mai 2018
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Hier ist das Meer, hier können wir der Stadt vergessen. Zwar lärmen eben jetzt noch ihre Glocken das Ave Maria — es ist jener düstere und törichte, aber süße Lärm am Kreuzwege von Tag und Nacht —, aber nur noch einen Augenblick! Jetzt schweigt Alles! Das Meer liegt bleich und glänzend da, es kann nicht reden. Der Himmel spielt sein ewiges stummes Abendspiel mit roten, gelben, grünen Farben, er kann nicht reden. Die kleinen Klippen und Felsenbänder, welche in’s Meer hineinlaufen, wie um den Ort zu finden, wo es am einsamsten ist, sie können alle nicht reden. Diese ungeheure Stummheit, die uns plötzlich überfällt, ist schön und grausenhaft, das Herz schwillt dabei. — Oh der Gleisnerei dieser stummen Schönheit! Wie gut könnte sie reden, und wie böse auch, wenn sie wollte! Ihre gebundene Zunge und ihr leidendes Glück im Antlitz ist eine Tücke, um über dein Mitgefühl zu spotten! — Sei es drum! Ich schäme mich dessen nicht, der Spott solcher Mächte zu sein. Aber ich bemitleide dich, Natur, weil du schweigen musst, auch wenn es nur deine Bosheit ist, die dir die Zunge bindet: ja, ich bemitleide dich um deiner Bosheit willen! — Ach, es wird noch stiller, und noch einmal schwillt mir das Herz: es erschrickt vor einer neuen Wahrheit, es kann auch nicht reden, es spottet selber mit, wenn der Mund Etwas in diese Schönheit hinausruft, es genießt selber seine süße Bosheit des Schweigens. Das Sprechen, ja das Denken wird mir verhasst: höre ich denn nicht hinter jedem Worte den Irrtum, die Einbildung, den Wahngeist lachen? Muss ich nicht meines Mitleidens spotten? Meines Spottes spotten? — Oh Meer! Oh Abend! Ihr seid schlimme Lehrmeister! Ihr lehrt den Menschen aufhören, Mensch zu sein! Soll er sich euch hingeben? Soll er werden, wie ihr es jetzt seid, bleich, glänzend, stumm, ungeheuer, über sich selber ruhend? über sich selber erhaben?
Friedrich Nietzsche
https://www.textlog.de/20126.html
Jörg Klüber 14/10/2019 20:00
Kreatives Meer bitte mehr!LG Jörg
erich w. 19/11/2018 18:12
irgendwiesteht man staunend da
lg. e
Udo Ludo 26/09/2018 8:55
Randfilter und lineare Strukturen im Bild gleichen sich.milchschäfer2 25/09/2018 9:00
feinGruß Andreas
Dirk Purz 23/09/2018 21:50
Wenn Fotos spürbar werden, dann sind sie soerich w. 23/09/2018 17:52
kommenund gehen
lg. e
Dirk Purz 19/09/2018 20:33
+++Domenica01 07/09/2018 23:26
Stimmungsvolle Aufnahme,die Sehnsucht nach dem Meer...lg Domenica
Markus Novak 05/08/2018 14:32
wunderbar Dein Bild im Zusammenspiel dieses Textes, von einem Autor, der heute fast vergessen schient, zumindest von den jüngeren, wie es mir erscheint. So kommt Dein Bild wunderbar in SW rüber und ich erinnere mich an meine zahlreichen Erlebnisse Eins mit dem Meer zu sein ... und waren es auch nur immer wieder nur Sekunden. Ich spreche vom Apnoetauchen.LG markus
ulrike krampitz 23/07/2018 13:30
eine anregende textstelle hast du gefunden. und mit deinem starken bild bestens ergänzt! das wunderbar schreckliche schweigen kommt rüber! lg ulrikepeju 04/07/2018 15:37
Wobei ich hier das Farbenfrohe mit dem Holzweg vermisse... :-)Stefan Adam 01/07/2018 13:43
... und darum mag auch ich das Meer!Fantastisch, wie Du Bild und Text miteinander kombinierst. Manchmal frage ich mich, was zuerst war: das Bild oder der Text?
manfred.art 27/06/2018 7:50
noch einmal, liebe kerstin.......... dieser genuss! glg manfredH Reinecke 27/06/2018 0:29
eine starke arbeit zu dem gedicht, deine bildersprache ist großartig...gruß herbert
peju 23/06/2018 11:35
Und wie viele Geschichten haben mit dem Meer zu tun!'Seefahrt tut Not' von Gorch Fock zum Beispiel, einer der sein Leben ließ in einem sinnlosen Krieg, ertrunken im Meer zwischen Dänemark und Norwegen...wie so viele andere.
Das große Schweigen... ja, das Meer deckt unsere (Un)taten vorläufig zu, lässt uns radioaktiven ewig lange strahlenden Abfall versenken, genau wie die unglaublichen Mengen Plastikmüll... aber irgendwann landet der auf unseren Tellern.
Philosophen wie der, den Du hier zitiert hast lieben es, regt sie zu meeresgleich vielgestaltigen Texten an....und Fotografen, die sich an ihm nicht satt fotografieren können, genau wie Maler aus allen Jahrhunderten immer wieder.
Faszinierend würde Spock gesagt haben.
Gruß
Peter