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† Ralf Scholze


Premium (World), Meerbusch

Lagavulin

Wer kennt sie nicht, die berühmte Filmszene. Der Titelheld – flatternde, zottige Mähne, Kilt, Überwurf in den Clanfarben und in der rechten Hand ein Breitschwert – steht breitbeinig auf einem Hügel, wie der Fels in der Brandung inmitten des steinernen Meers der schottischen Highlands, inmitten des Rots und Brauns der schottischen Heidelandschaft. Das Kinn trotzig empor gereckt fahren seine Arme auseinander, während die Kamera die Szene in der Vogelperspektive umkreist. Dann ertönt der Schrei: „There can be only one!!!“.
“Es kann nur einen geben“ – Schlüsselszene aus dem Kultstreifen „Highlander“. Und der Titelheld aus diesem Fantasyepos ist Connor McLeod vom Clan der McLeods, tragischer Held, der schon seit Jahrhunderten lebt und nicht sterben kann, solange sein Kopf auf dem Hals bleibt. Eine gefährliche Schlüsselszene. Will man doch sofort aufspringen, die Koffer packen und sofort in Richtung Schottland aufbrechen, um in der Dämmerung des nächsten Morgens dort, wo das Loch Alsh in das Loch Duich übergeht, wie der Highlander über die breite, steinerne Bogenbrücke von Eileen Donan Castle reiten.
Statt in Schottland sitzen wir im Gewölbekeller der Kyrburg, hoch oben auf einem Felsen über der Ortschaft Kirn, über dem Tal der Nahe. Statt nach Norden, in Richtung Schottland führte uns der Weg nach Süden. Aber irgendwie fühlt man sich wie inmitten der Highlands. Schon die Begrüßung in der dunklen, kalten, nebligen Herbstnacht durch den Hausherrn war so, wie man sich die Begrüßung durch einen schottischen Clanchief vorstelle. Ein loderndes, wärmendes Feuer neben der Eingangstür, die schrillen Quinten eines Dudelsacks quäken durch die Nacht, ein Quäken, das auf raue Weise den größten schottischen See beschreibt, das Loch Lomond.

Irgendwie fühlt man sich wie in Schottland und zu einer Rundreise durch die schottischen Highlands hatte uns der Hausherr eingeladen, eine Rundreise, für die wir die gemütliche Burg nicht verlassen müssen, denn die Stationen dieser Rundreise stehen im Halbkreis vor uns auf dem Tisch. Ein halbes Dutzend Gläser, jeweils gefüllt mit einem „winzigen“ Schluck, einem „wee drum“, wie die Schotten zu sagen pflegen. Sechs Single Malts, sechsmal Wasser des Lebens oder gälisch "uisge-beatha". Das Farbspektrum reicht vom blassen Gelb über strahlendes Gold in der Mittagssonne bis zu den intensiven Farben von Bernstein. Wohin wird uns diese Rundreise durch die schottischen Highlands führen? Der Kurs ist abgesteckt. Wie der Zeiger einer Uhr, einmal im Halbkreis von links nach rechts.
Der Auftakt bildet ein Glenkinchie, nicht aus den High-, sondern aus den Lowlands. Den Namen Lowlands sollte man nur nicht all zu wörtlich nehmen, denn die Lowlands sind al-les andere als „low“. Die „distillery“ liegt knapp 25 Kilometer südlich von Edinburgh al-so für einen richtigen Highlander ziemlich im Süden. Der Duft einer Blumenwiese, von Zitronengras, reifen Melonen und kandierten Zitronenstücken steigt mir in die Nase. Schottland, das Land, wo die Zitronen blühen? Mal sehen.

Szenenwechsel: In nur wenigen Minuten überqueren wir den Firth of Forth, queren einmal die Grampian Mountians und befinden uns mitten in der Speyside, fast direkt am Ufer des Flusses, welcher der größten Whiskyregion Schottlands seinen Namen gegeben hat. Bal-lindalloch ist der malerische Name unseres Ziels. Cragganmore, die „distillery“ wo der zweite Whisky das Licht der Welt erblickte liegt geduckt hinter grünen Hügeln fast direkt am River Spey. Anscheinend hat man rings um das „still house“ den Rasen gemäht, denn der Malt duftet nach frischen Blumen, frisch geschnittenem Gras und Kräutern, wie Thymian.

Von der Speyside führt uns die Reise nach Westen, mitten ins Herz der Highlands zwi-schen den Gipfeln der blauen Berge oder auch gälisch Monadhlaith Mountains und den Grampian Mountains in eine wildromantische Hochebene, eine Landschaft, die im Spät-sommer richtig zu glühen scheint, wenn die dichten Heideteppiche an den Hängen der umliegenden Berg zu blühen beginnen. Hier kreuzten sich die Fußpfade, die alten Wege, auf denen man tagsüber das Vieh in die Städte trieb oder nachts dem viel lukrativeren Ge-schäft des Whiskyschmuggelns nachging. Hier traf man sich, rastete und zog dann gemeinsam weiter. Und genau das bedeutet das gälische Wort „Dalwhinnie“: „Versammlungsplatz“. Die „distillery“ ist nicht nur die höchstgelegene „distillery“ Schottlands son-dern auch die einsamste, wenn im Winter die Landschaft unter mehreren Metern Schnee versinkt und die Schneeflocken von Sturmböen waagerecht über das Land getrieben wer-den. Klingt ungemütlich? Also zurück in den Spätsommer. Am Gaumen entfalten sich zu-erst würziger Heidehonig, dann wilde Kräuter und dann ein langes Crescendo eines Torf-feuers.
Von der Hochebene inmitten der Highlands an das Ufer von Loch Harport, vom Festland auf die Insel Skye, das Ergebnis von Feuer und Eis. Das Feuer, das war die glühende La-va, die hier vor siebzig Millionen Jahren aus dem Erdinneren empor quoll und das Eis, das kam in der letzten Eiszeit und gab der nördlichsten Insel der inneren Hebriden quasi ihren Feinschliff. Und der Whisky, der Talisker ist ein richtiger Sohn der Insel. Das glühende Bernsteinrot eines Sonnenunterganges auf Skye an einer Hafenmole, In der Luft liegt der Geruch von Meer, von Jod, von Salz und Seetang. Ein paar Möwen spielen schreiend in der Luft und sind bald verschwunden. Etliche Schornsteine des kleinen Fischernestes qualmen, verbreiten den so charakteristischen Geruch von einem Torffeuer im Kamin. Immer mehr Rauchschwaden quellen aus den Schornsteinen empor, während langsam ein Gewitter näher kommt. Die sich am Himmel auftürmenden Wolkentürme rücken immer näher Blitze zucken in den Wolken, während sich das typische Aroma von frischem Pfeffer am Gaumen ausbreitet, ein Aroma, das vulkanische Hitze entflammt. Dann das Finale, der Abgang. Ein gewaltiger Paukenschlag, ein letzter Donner und es herrscht Ruhe, absolute Ruhe.

Szenenwechsel. Von der Einsamkeit von Skye geht es nach Süden, in die Kleinstadt O-ban, die sich mit ihrem geschäftigen Fährhafen in eine enge steile Bucht drängt, über der MacCaig´s Tower – eine Kopie des römischen Kolosseums – thront, Arbeitsbeschaf-fungsmaßnahme eines wohlmeinenden Bankiers aus Oban. Ob es hier mehr um seine phi-lanthropische Weltanschauung oder um die Befriedigung seiner Eitelkeit ging, sei mal da-hingestellt. MacCaig starb, seiner Familie ging das Geld aus und das Gebäude blieb un-vollendet. Auf jeden Fall, der Blick vom unvollendeten Monumentalgebäude ist genial. Die „distillery“, die liegt an die Felswand geschmiegt fast direkt unter dem MacCaig´s Tower. Und der Whisky? Ein Picknick am Strand, süß und sandig. Neben dem Strandla-ken eine Schüssel voller reifer Pfirsiche; Nüsse und Seetang. In der Luft der Duft von Ta-bak und Torfrauch. Mit der einsetzenden Flut kommt das Salz.

Noch ein gewaltiger Sprung nach Süden und schon sind wir wieder auf einer Insel. Die Rede ist von Islay, dem Mekka der Whisky Fans, der südlichsten Insel der inneren Hebri-den, dem Stammsitz der legendären Lords of the Isles. Lagavullin – sprich lagga – wullin – liegt in einer verträumten Bucht an der Südküste Islay. Und der Whisky? Meersgischt prallt an die Mauern. Die Luft duftet nach dem aromatischen Rauch eines wärmenden, lo-dernden Torffeuers im Kamin. Auf dem alten Holztisch steht ein einfaches Nachtmahl. Eine Platte mit geräucherten Fischen, frisches Brot und ein paar Keksen als Nachtisch.

Sechs Single Malt Whisky, sechs Landschaften, sechsmal Schottland im Glas. Horst Kroll, der Gastgeber und Hausherr auf der Kyrburg sattelt noch einen drauf. Sozusagen als Zugabe schickt er uns noch einmal schräg über Schottland in die nordöstlichste Ecke, so-weit in den Norden, dass es fast nicht mehr weiter geht. Nur noch wenige Meilen und der nördlichste Punkt der britischen Insel ist erreicht. Ein weites, menschenleeres Land, das plötzlich hundert Meter in die Tiefe stürzt, wo sich die salzigen, grauen Wogen der Nord-see mit Donnergetöse an den roten Buntsandsteinklippen der Felswand brechen. Vor uns die Steilküste, hinter uns eine weite, fast menschenleere Hochebene. Torf, Gras und gelb blühender Ginster, das ist der Duft eines „Old Pulteny“ aus Wick. Und der Abgang, das „finish“ ist Nordsee pur: Salz.
Single Malt Whisky, Aromafülle und –vielfalt, wie man sie sonst nur vom Wein her kennt. Doch die Zutaten sind überall die gleichen: Gerste, Wasser und Hefe. Dazu kommt mal etwas mehr, mal etwas weniger und manchmal überhaupt kein Torf in die Öfen, die das feuchte, frische Gerstenmalz trocknen und räuchern. Das Endprodukt ist so unter-schiedlich und so vielfältig, wie die unterschiedlichen Gesichtszüge der schottischen Landschaft.
Neugierig geworden? Neugierig geworden auf einen stürmischen Nachmittag an den Steilküsten von Nordostschottland, auf die endlosen Heideflächen der zentralen High-lands, einen Gewitterabend auf der Insel Skye oder eine Wanderung durch die Speyside? Oder lieber ein gemütliches Picknick an einem einsamen Strand der Westküste oder viel-leicht einen romantischen Abend am Kamin auf Islay? Dann begleiten Sie uns auf eine Reise durch Schottland durch ein Schottland jenseits der Disneyworld von Nessy, Kilt und Dudelsack. Eine Reise auf den Spuren der Whiskyschmuggler, der ersten Eisenbahnen, der letzten Clankriege und zu rätselhaften Steinkreisen. Eine Reise zu endlosen Moorflä-chen, schäumenden Wasserfällen, wo die wilden Lachse springen, kleine Gebirgsbäche, die aufgrund der bräunlichen Färbung des Wassers wie voller Whisky erscheinen und ei-ne Reise zu einigen der besten „distilleries“ Schottlands.
Egal wie man die Reise antritt, mit einem „wee drum“ in der Hand, lesend im Sessel am Kamin, zu Fuß durch strömenden Regen in der Speyside oder im Auto, auf der Jagd nach dem letzten Regenbogen, man sei ausdrücklich gewarnt: Es wird nicht die letzte Reise bleiben.

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