Stadt der Engel oder: Nachdenken über Christa W.
Berlin, Deutsches Historisches Museum, 2011. Bearbeitung: Corel PhotoImpact X3. Gradationserhöhung mit S-Kurve Eingabe 180, Ausgabe 190. Nachschärfen des auflösungsreduzierten Bildes 20/100.
http://de.wikipedia.org/wiki/Christa_Wolf
Biografie Wer ist Christa Wolf?
Die Schriftstellerin wurde am 18. März 1929 in Landsberg/Warthe, dem heutigen Gorzó Wielkopolski, geboren. 1945 siedelte sie nach Mecklenburg um. 1949 bestand sie in Bad Frankenhausen (Kyffhäuser) das Abitur und trat noch im selben Jahr der SED bei. In Jena und Leipzig studierte sie bis 1953 Germanistik. Später war sie Mitarbeiterin beim Deutschen Schriftstellerverband, Lektorin, Redakteurin der Zeitschrift neue deutsche literatur und Cheflektorin des Verlags Neues Leben. 1961 veröffentlichte sie ihr erstes Prosawerk Moskauer Novelle. Das Buch wurde in der DDR gut aufgenommen und viel beachtet, in der Bundesrepublik jedoch nicht veröffentlicht. Seither arbeitet sie als freiberufliche Schriftstellerin. Ihr erster großer Erfolg war der Roman Der geteilte Himmel, der sich mit dem geteilten Deutschland auseinander setzt. Hierfür wurde sie mit dem Heinrich-Mann-Preis ausgezeichnet. Das Buch wurde 1964 in der DDR von Konrad Wolf verfilmt.
Christa Wolf war von 1963 bis 1967 Kandidatin des Zentralkomitees der SED, schied aber nach einer kritischen Rede aus dem Gremium aus. 1974 wurde sie Mitglied der Akademie der Künste der DDR, von 1981 an auch Mitglied der gleichnamigen Akademie in Westberlin. 1976 war sie Mitinitiatorin des Protestes gegen die Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann. Sie hatte Reisefreiheit in der DDR und konnte von 1978 an Gastvorträge in der Bundesrepublik, Italien, Schottland, der Schweiz und den USA halten.
1983 erschien ihre Erzählung Kassandra, die vom Geschlechterkonflikt handelt und die sie zur gesamtdeutschen Autorin machte. Es war ihr größter internationaler Erfolg. 1987 wurde sie noch mit dem Nationalpreis 1. Klasse der DDR ausgezeichnet. Zwei Jahre später, im Juni 1989, trat sie aus der SED aus – fünf Monate vor dem Mauerfall.
1990 veröffentlichte sie die Erzählung Was bleibt, die stark autobiografische Züge trägt und ihre eigene Überwachung durch das Ministerium für Staatssicherheit schildert. Dieser Band löste eine Diskussion über die Mitschuld der Intellektuellen an den menschenfeindlichen Zuständen in der DDR aus. Christa Wolf wurde im Westen als »Heuchlerin« und »Staatsdichterin« angegriffen. Sie zog sich aus der politischen Öffentlichkeit zurück.
Das Jahr 1993 brachte eine weitere Zäsur. Christa Wolf bekannte, von 1959 bis 1962 informelle Mitarbeiterin der Stasi gewesen zu sein. Sie selber veröffentlichte die Akte, welche diese Zeit behandelte.Insgesamt hat Christa Wolf über dreißig Werke, Hörspiele und Filmbücher geschrieben. 1996 erschien der Roman Medea, in dem sie wie bei Kassandra eine Gestalt der antiken Sagenwelt für sich sprechen lässt.
Im Jahr 2003 erschien ihr Buch Ein Tag im Jahr – ihre Tagesprotokolle jeweils des 27. September der vergangenen Jahrzehnte
http://www.zeit.de/2005/40/Bio_2fBiblio
dossier Bei mir dauert alles sehr lange [2005]
15 Jahre nach dem Ende der deutschen Teilung – ein Gespräch mit der Schriftstellerin Christa Wolf über Heimat, das Vergessen und die Wirkung von Goethe
[...]
ZEIT: Sind Sie mit den Jahren weiser geworden?
Wolf: Weiser? Vielleicht gelassener. Man hat doch schon einiges erlebt, und manches wiederholt sich. Eine bestimmte Struktur von Erfahrungen wiederholt sich. Ich kann nicht sagen, dass ich dickhäutiger geworden bin. Das überhaupt nicht. Aber meist weiß man aus Erfahrung, irgendwann geht es vorbei. Das bringt ein bisschen mehr Gelassenheit.
ZEIT: Anfang der neunziger Jahre haben Sie erlebt, wie in den deutschen Feuilletons plötzlich eine Debatte begann, in deren Mittelpunkt Sie standen. Tenor: Christa Wolf sei eine Staatsschriftstellerin der DDR, ihre Literatur sei überschätzt. Hat Sie dieser Angriff damals überrascht?
Wolf: Ja. Ich hatte das nicht erwartet, weil ich vorher im Westen ja sehr anerkannt war, als »gesamt-deutsche« Schriftstellerin. Und plötzlich war und bin ich für die Medien eine DDR-Schriftstellerin. Staatsschriftstellerin? Wer das sagte, hatte meine Bücher nicht gelesen.
ZEIT: Günter Grass meinte, die Angriffe seien nicht nur gegen Christa Wolf persönlich gerichtet gewesen, sondern gegen alles, was aus dem Osten kam. Sehen Sie das auch so?
Wolf: Ich glaube schon, dass es so war. Ich war im Osten, ob ich das wollte oder nicht, auf eine gewisse Weise eine Orientierungsfigur, und diese Figur wollte man demontieren, wie ja überhaupt die ganze DDR, nach dem Ausspruch einer ranghohen westdeutschen Politikerin, »delegitimiert« werden musste. Bei der Gelegenheit versuchte das Feuilleton die realistische Literatur, auch von westdeutschen Autoren, zu diffamieren. Heute sieht man: Das ist nicht gelungen. Diese Art von Literatur ist lebendig. Und meine Leser sind mir geblieben.
ZEIT: Ein anderer Angriff lautete: Sie seien nicht nur jahrzehntelang von der Stasi bespitzelt worden, Sie seien auch selbst Ende der fünfziger Jahre für kurze Zeit Inoffizielle Mitarbeiterin des Ministeriums gewesen. Sie schrieben Berichte, harmloser Art, aber immerhin. Können Sie sich diesen Fehler inzwischen verzeihen?
Wolf: Das ist natürlich kein Ruhmesblatt. Aber inzwischen gehe ich auch in diesem Punkt gelassener mit mir um. Ich habe mich redlich bemüht, mich mit dieser Episode in meinem Leben auseinander zu setzen. Ich habe meine Akte als Buch veröffentlicht, weil ich fand, meine Leser hätten ein Recht, darüber Bescheid zu wissen. Natürlich haben die Medien dieses Buch dann kaum zur Kenntnis genommen.
ZEIT: Monatelang standen Sie im Feuer öffentlicher Angriffe. Wie sind Sie mit diesem Druck umgegangen?
Wolf: Das war eine schwierige Zeit. Es wurde ja eine Art Monster-Bild von mir verbreitet. Ich musste lernen, wer ein wahrer Freund ist und wer nicht. Mein Mann, meine Familie haben mir geholfen, ohne sie hätte ich das nicht durchgestanden. Sehr geholfen hat mir auch, dass ich genau zu dieser Zeit für ein Dreivierteljahr in Los Angeles gewesen bin, als Stipendiatin der Getty-Stiftung. Wir waren eine Gruppe Künstler und Wissenschaftler aus den verschiedensten Ländern. Auch die haben mich mit ihrer realistischen Sicht auf die überhitzte Atmosphäre im vereinigten Deutschland vor gefährlichen Überreaktionen bewahrt. Ich habe in dieser Zeit sehr viele interessante Menschen kennen gelernt, am bewegendsten waren meine Treffen mit Holocaust-Überlebenden der zweiten Generation.
ZEIT: Können Sie ein Beispiel erzählen?
Wolf: Ich traf eine Frau, die war von ihren jüdischen Eltern als Kind in einem Nonnenkloster versteckt worden, als die deutsche Wehrmacht in Frankreich einmarschierte. Sie konnte das nie, nie verwinden, obwohl ihr dadurch das Leben gerettet wurde. Die Eltern holten sie wieder zu sich, als sie einen Fluchtweg nach Amerika ausgemacht hatten. Rational hatte sie ihre Eltern natürlich verstanden, aber emotional konnte sie nie darüber hinwegkommen, dass ihre Eltern sie weggegeben hatten. Mich hat diese Geschichte sehr bewegt.
ZEIT: Frau Wolf, was war im Rückblick an Ihrer Zeit in der DDR richtig gut?
Wolf: Das kann ich so nicht beantworten, über die ursprünglichen Erinnerungen schieben sich die späteren Bewertungen. Ich will es mal so versuchen: Vielleicht war es diese Aufbruchstimmung in den fünfziger Jahren, das Gefühl, hier in der DDR entsteht ein besserer, ein sozial gerechterer Staat. Wir bekamen in jenen Jahren unsere antifaschistische Prägung. Ich kam in Kontakt mit linken Schriftstellern, die aus der Emigration in die DDR gekommen waren: Louis Fürnberg, Anna Seghers, Willi Bredel, F. C. Weißkopf, Kuba Alex Wedding – und viele andere. Wir lasen ihre Bücher. Wir erlebten ihre Konflikte mit. Ich denke heute noch, das waren die interessantesten Leute, die es damals in Deutschland gab. Die Begegnungen mit ihnen konnten einen glauben lassen, man befände sich am richtigen Ort. Das war zum Teil ein utopischer Ort, den der »real existierende Sozialismus« dann nach und nach besetzte. Aber eine Utopie kann sehr, sehr lange in einem nachwirken.
ZEIT: Mochten Sie Brecht?
Wolf: Als Autor natürlich. Auch als Denker und als Theatermacher: Alle seine frühen Inszenierungen am Berliner Ensemble – auch so ein utopischer Ort – bleiben mir unvergesslich. Gegen Brecht als Mann hatte ich Vorbehalte, mir schien, er verlangte zu viel Selbstaufgabe von seinen Frauen.
ZEIT: Wann haben Sie von der DDR Abschied genommen?
Wolf: Es war ein langer Abschied, der Anfang der sechziger Jahre begann. Der letzte Zeitpunkt, die DDR mit Reformen wirklich zu verändern, wäre im Jahr 1968 gewesen. Aber dann haben die Russen den Prager Frühling niedergeschlagen. Es war vorbei. Nach der Wiedervereinigung stellte sich kurz eine Art Phantomschmerz ein, unter anderem deshalb, weil ich die Abqualifizierung der DDR einzig unter dem Begriff Diktatur als zu undifferenziert empfand. Aber auch dieser Schmerz ist vergangen.
ZEIT: Herbst 2005, 15 Jahre nach der Deutschen Einheit: Wie fällt Ihr Blick auf die heutige Gesellschaft aus?
Wolf: Eine Gesellschaft in der Krise, die ihre Integrationskraft für ihre auseinander driftenden Bevölkerungsgruppen zunehmend verliert, und, was gefährlich ist, große Mengen »überflüssiger« Menschen produziert; eine Gesellschaft, die ihren humanitären Wertekanon zugunsten neoliberaler »Werte« aufzugeben beginnt, in der viele Einzelne um ihren Platz kämpfen und ihn dann zu halten versuchen.
ZEIT: Und dabei leiden die Menschen?
Wolf: Ich finde, schon. Das Wichtigste, was Menschen miteinander anstellen sollten, ist, sich gegenseitig zu fördern und zu ermutigen. Und genau dies geschieht nicht – oder zu wenig.
http://www.zeit.de/2005/40/Wolf-Interview
http://www.youtube.com/watch?v=lFoXuxdSGJQ
Watndat 03/02/2012 10:24
Hallo Eckhard...Auch an den Ausgrabungsstätten um Arles und im Süden Frankreichs ..Sind Büsten ohne Kopf gefunden worden .. Man munkelt das Amerikanische und Englische Soldaten sowas als Andenken mitgehen lassen hat..ich meine man habe es mal gelesen ..
Viele Grüsse Klaus
Watndat 02/02/2012 19:12
Ja eigentliche Stadt der Engel ist Los Angeles..Leider hat die Engeldame ihren Arm verloren ..
das wahrscheinllich einem Souvenierjäger damals abgebrochen wurde , wie auch in vielen römischen Denkmälern und Statuen geschehen ist..da sie einfach nicht mehr gefunden wurden ..
Tolle Fotos und Ansichten ..
Lg Klaus D. Watndat
Kerstin Stolzenburg 29/12/2011 21:05
Lieber Eckhard, Hoffnung ist ja etwas sehr Wesentliches im Leben; sie kann Menschen sogar in widrigsten Umständen überleben lassen, wie die Geschichte zeigt. Hoffnung in Form von Ideen, Idealen, Utopien war zudem schon immer Triebfeder in der Entwicklung der Menschheit ... und sie wird es immer sein, auf diese oder jene Weise.Das Ende der DDR erlebte ich als junger Mensch von 25 Jahren; ich hatte gerade mein Studium beendet, eine Familie gegründet, baute ein Haus ... ich kann deshalb vielleicht nicht für die Allgemeinheit sprechen, da ich selbst zu der Zeit in einer Phase der Entwicklung steckte, ein Leben aufbauen wollte, trotz der Widrigkeiten, denen man ausgesetzt war und mit denen man sich arrangieren musste, da niemand wusste, wie lange dieses System, in dem es aber durchaus auch gute Dinge gab (ich glaube, ich habe beispielsweise eine gute Schulbildung genossen), existieren würde. An Utopien dachte ich in meinem jungen Leben damals weniger; das war ausgefüllt mit den ganz normalen Dingen wie Schule, Training, Freizeitaktivitäten ... Berufswünschen! (Auch das könnte man nun vermutlich kritisieren! ;-))
Ich denke aber auch, dass die Mehrheit der Menschen in der DDR nicht klüger oder dümmer oder anders war, als die Mehrheit der Menschen in der alten BRD oder in Deutschland heute. Wenn man sich das vor Augen hält, erkennt man die Bedürfnisse der 'Masse'! Es dürfte also auch den meisten Menschen in der DDR nicht um irgendwelche Utopien gegangen sein, sondern einfach um ein friedliches Leben, in dem sie ruhig, versorgt und nicht bevormundet leben und sich entfalten konnten. Woran rieb man sich denn im Alltag am meisten: wenn ich es recht in Erinnerung habe, an der Mangelwirtschaft, am Reiseverbot, an der Zensur und der Unfreiheit, seine Meinung äußern zu dürfen ... an Dingen, die auch in dem System nicht hätten sein müssen, die eine kommunistische Utopie auch nicht gefordert hat, und die man mit klugem Vorgehen hätte beseitigen oder vermeiden können. Aber da war nichts klug, wenn ich es etwas naiv ausdrücken darf, da waren 'verirrte' und verknöcherte Holzköpfe am Ruder, die Bespitzelung, Verfolgung und Repressalien als Mittel nutzten, um ihre Macht auszuspielen und ihre Vorstellung vom Sozialismus umzusetzen.
Das Ende der DDR hätte allerdings auch ohne die politische Wende nicht lange auf sich warten lassen, denke ich. Wenn ich mich mit Menschen unterhalte, die damals mitten im Beruf standen und die 'Verhältnisse' sozusagen von innen kannten, erfährt man, dass nahezu alles marode war. Es hätte auch auf dieser Basis vermutlich keine fünf Jahre mehr gedauert, bis das System in sich zusammengebrochen wäre.
Wie das dann jedoch ausgegangen wäre und ob die Sache in der Bevölkerung friedlich abgelaufen wäre, darüber mache ich mir hin und wieder Gedanken.
Das ist ein, zugegebenermaßen, recht naiver Versuch, mich in wenigen Worten der Zeit damals zu nähern. Das war natürlich alles doch etwas komplizierter und differenzierter ...
Kerstin
Kerstin Stolzenburg 29/12/2011 19:27
" Wie groß muß die (auf sozialistischer Weltanschauung basierende) Hoffnung auf eine bessere Gesellschaft jenseits der existierenden sein, damit jemand, der selbst fast drei Jahrzehnte unsichtbar und sichtbar vom StaSi kontrolliert wurde, so etwas schreiben kann?!"Lieber Eckhard, die Stasi hatte mit den Utopien nichts mehr zu tun. Auch nicht die Regierung des SED-Staates. Sie hatten diese Ideale längst verloren bzw. waren an ihnen gescheitert, auch wenn sie sich bis zum Schluss darauf beriefen. Das wussten die Menschen. Und deshalb haben die Grundideen von einer besseren und gerechteren Gesellschaft vermutlich überlebt.
Kerstin
Karl-Dieter Frost 29/12/2011 18:55
Lieber Eckhard, dass Menschen, die in bzw. unter einem Unrechtssystem lebten, ihr >Land< liebten, halte ich für einigermaßen normal. Ich kann aber wirklich nicht beurteilen, ob Frau Wolf mehr als das Land meinte und wen sie mit >wir< meinte – die Bürger allgemein, evtl. sich selbst inbegriffen oder ob sie sich gar in dem „Wir“ entschuldigend selbst versteckte. Auch halte ich die Hoffnung auf eine bessere, gerechtere Gesellschaft (und sogar das Streben danach) für ein absolut legitimes Mittel (Das ist sicher auch in unserer Gesellschaft oft angebracht). Aber man darf oder muss schon etwas skeptisch sein, wenn ein intellektuell denkender Mensch (noch dazu als anerkannte Persönlichkeit breiter Bevölkerungsschichten) in Jahrzehnten des offensichtlichen Unrechts nicht erkennt, wem seine Worte am meisten dienen. – Aber mein Wissen über sie reicht für eine abschließende Beurteilung nicht aus. Mich haben aber Kerstins abwägende Gedanken sehr beeindruckt.Gruß KD
Kerstin Stolzenburg 28/12/2011 12:07
Lieber Eckhard, Bild und Bildtitel sind eine große Herausforderung für eine Besprechung und ich denke bereits darüber nach, seit Du das Foto eingestellt hast. Das ist wieder einmal eine Aufnahme, über die man, wäre man Kunsthistoriker oder Bildtheoretiker, vermutlich Aufsätze schreiben könnte. Als fc-user hat man dafür allerdings – wie so oft – zu wenig Zeit und zu wenig Platz ... na ja, und weiß vermutlich auch viel zu wenig über die Zusammenhänge.Ich habe im Laufe der Zeit einige Werke von Christa Wolf gelesen, stand damals (in den 1980er Jahren) in Ost-Berlin sogar hin und wieder in der Schlange am Buchladen an, wenn ich zufällig ‚dazu bzw. vorbeikam‘ und es einmal ein selteneres Exemplar zu kaufen gab. Einige von Christa Wolfs Büchern zählten auch dazu. Heute, nach mehr als zwanzig Jahren, kann man sich das fast gar nicht mehr vorstellen. Noch weniger kann man sich vermutlich vorstellen, wie Menschen nach dem Krieg in der Aufbauphase dachten, welche Ziele, welche Ideale sie vor Augen hatten, warum sie so sicher waren bzw. hofften, das man diese, gerade auch in diesem neu gegründeten ‚Arbeiter- und Bauernstaat, verwirklichen kann und warum sie sich mit aller Kraft dafür einsetzten.
– Wie steht es heute eigentlich um Ideale? Was streben die Menschen heute an? Wofür setzen sie sich ein? Oder wehren sie heute nur noch Missstände ab, so gut es geht? Sind die Menschen bequem und satt, nur weil in der (nicht selten) oberflächlichen, konsumbetonten Gesellschaft für den täglichen Bedarf alles im Überfluss vorhanden ist? Sind sie angekommen in ihrer Bedürfnisbefriedigung; ist es das, was sie sich wünschen ... haben sie sonst keine Ziele mehr? Brauchen wir keine Utopien, keine Träume mehr? Sind sie falsch? –
Christa Wolf hat sich anfangs für die neuen Ideale begeistern lassen. Im Buch „Stadt der Engel oder The Overcoat of Dr. Freud“, das ich gerade lese, gibt es eine Passage, die diesen Gedanken inhaltlich im Anschluss an ein Brecht-Gedicht ( http://www.youtube.com/watch?v=tpbX5itdzKc ) ganz gut beschreibt: "Das taten wir, Brecht, dachte ich, und es hatte doch so einfach ausgesehen, so folgerichtig, ja, eigentlich unausweichlich. Es gab sie doch, die menschenwürdige Gesellschaft, man musste nur die Herrschaft des Eigentums an Produktionsmitteln abschaffen, jedermann musste doch froh sein, nach seinen Fähigkeiten, nach seiner Einsicht und nach seiner Vernunft leben zu können. War dies nicht der alte Menschheitstraum?"
Wahrscheinlich hat Christa Wolf diese Ideale sogar nie verloren. Regimekonformes Verhalten wird ihr häufig nachgesagt. Vielleicht muss man es präziser formulieren und in Ideale-konformes Verhalten abwandeln, einem Verharren in den Grundideen, in den Möglichkeiten. Regimekonform dürfte nicht stimmen, denn verlorengegangen ist ihr mit der Zeit bzw. recht bald ja das Vertrauen in die allmächtigen Staatslenker, die all die schönen Ideen mit ihrem allzu begrenzten Verstand auslegten und verwalteten und ihnen so die Flügel ausrissen und am Fliegen hinderten ... Auch das könnte man in deinem Engelsbild sehen. Einen ‚gefallenen Engel‘ der anderen Art. ;-) (Dabei muss ich gerade an ein Buch eines anderen Autoren denken, das vielleicht auch ganz gut in diesen Kontext passen würde: „Ahasver“ von Stefan Heym)
Natürlich ist fraglich, ob dieser ‚Engel‘ überhaupt je hätte fliegen können, ob er je fliegen könnte. Ist der Mensch mit all seinen Eigenschaften überhaupt in der Lage, in einer Gesellschaft ohne Gier, ohne Neid, ohne Eifersucht, ohne Herrschsucht miteinander zu leben, alle Menschen/Lebewesen zu respektieren, zu teilen, abzugeben, so dass alle genug haben, und nicht einige zu viel und andere zu wenig?
Nicht durch die Herrschenden, durch den Staatsapparat, durch die missratene Politik- und Staatsführung der DDR, sondern durch das Volk selbst hat Christa Wolf nach der Wende noch einmal eine andere Sicht der Dinge erfahren müssen. „Wenige Seiten zuvor erinnert sich Christa Wolf an den 4. November 1989, an die Veranstaltung auf dem Alexanderplatz, an ihre Rede, an einen Moment, in dem für sie blitzartig die Utopie eines wahren Sozialismus zu greifen nah war. Der historische Augenblick, in dem die Geschichte märchenhaft, glücklich ausgeht: ‚Ihn miterlebt zu haben, dachtest du, dafür hatte alles sich gelohnt.‘ Nun, knapp drei Jahre später, hat Christa Wolf eine doppelte Kränkung erlebt. Die Bevölkerung der DDR hatte mehrheitlich ganz andere Sehnsüchte, als jene, den wahren Sozialismus endlich verwirklichen zu dürfen.“ http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/rezensionen/belletristik/christa-wolf-stadt-der-engel-oder-the-overcoat-of-dr-freud-mein-schutzengel-nimmt-es-mit-jedem-raumschiff-auf-1999147.html
Dass die Utopien im SED-Staat nicht zu verwirklichen waren, hatte Christa Wolf mit der Zeit begriffen. Aber da war wohl noch ein Funken Hoffnung vorhanden, als die Menschen friedlich demonstrierend die Wende einleiteten. Nur hatte sie sich getäuscht in dem, was die Massen vor allem wollten: Konsum! Keine Utopien mehr. "Ich musste an die Menschenmassen denken, meine Landsleute, die wenige Tage nach der Maueröffnung und nachdem sie ihr Begrüßungsgeld abgeholt hatten, mit Tüten und Taschen und Kartons voller bisher unerreichbarer Waren bepackt, von ihrem ersten Westbesuch glücklich zurückkamen. Dies also war des Pudels Kern, aber was hatte ich denn gedacht." (Quelle: Stadt der Engel)
Vielleicht war Frau Wolf in ihren Überlegungen, in ihrer Einstellung und in ihrem Handeln zeitweise etwas naiv. Naiv aber dann im Sinne von 'an das Gute glaubend', bessere Verhältnisse für alle erträumend, Missstände, Ausbeutung, Unterdrückung beseitigen wollend ... Naiv genug aber eben auch, um sich vom MfS für eine Weile benutzen zu lassen, auch wenn der einzige handgeschriebene Bericht von ihr nicht wirklich Verwertbares aufweist, wie man im Buch „Akteneinsicht Christa Wolf. Zerrspiegel und Dialog.“ von Hermann Vinke nachlesen kann, wobei das Interesse an der Informantin Wolf bald nachließ, da sie nicht lieferte, was man sich von ihr versprach.
Wo zieht man jedoch die Grenze beim Tolerieren, beim Verständnis für solche Taten? Sind solche Menschen grundsätzlich schlechte Menschen und bleiben sie es? Ist der Engel auf ewig gefallen oder lässt er sich wieder reparieren, auch weil er selbst neue Erfahrungen macht, Lehren zieht, Erkenntnisse gewinnt, sich entwickelt?
Und ist es überhaupt gerechtfertigt, dass die Medien sich wie Hyänen auf solche Nachrichten stürzen, auch Jahrzehnte nach dem Ereignis, dass sie bedenkenlos und ohne Moral zerfleischen, zerreißen, nach ihrem Gusto und nach größtmöglicher Vermarktbarkeit aufbereiten, was ihnen in den Fokus kommt, auch wenn der Betreffende bzw. seine Arbeit damit nicht selten in ungerechtfertigter Weise beschädigt bzw. zerstört wird? Das Buch „Akteneinsicht“ hat einige Artikel der schreibenden Zunft zusammengetragen und man fragt sich bestürzt, wie sich gerade auch recht bekannte Journalisten und Zeitungen für ein solch unreflektiertes Geschmiere, für solche Hetzkampagnen hergeben konnten. Berichterstattung ist grundsätzlich wichtig, das soll in diesem Zusammenhang betont werden, denn nicht selten wurden echte Missstände und Skandale aufgedeckt. Aber es muss dies immer differenziert und mit Augenmaß geschehen.
Ich finde es sehr schade, dass diese Schriftstellerin nicht mehr unter uns weilt, nicht nur als Autorin, sondern auch als Mensch, denn auch ich hatte das Glück, ihr einmal nach einer Podiumsdiskussion am Rande einer Urlaubsfahrt begegnen und sie als sehr sympathische Frau kennenlernen zu dürfen. Interessiert hätte mich nun aber vor allem, wie sie mit der Utopie weiter umgegangen wäre, ob sie die Ideen der Ideale nach all den Erfahrungen und Enttäuschungen nun ganz und gar aufgegeben und begraben hätte oder ob sie immer noch Hoffnung gehabt hätte, dass die Menschen so etwas eines Tages leben können.
Ich selbst glaube es nicht, auch wenn ich den Grundgedanken sehr schön finde. Wenn jeder Mensch nach seinen Fähigkeiten gleichberechtigt und geachtet leben könnte, gäbe es keine Ausbeutung, keinen Neid ... keine Kriege ...
... Utopien ... mit dem realen Menschen leider nicht zu machen, befürchte ich.
Soweit einmal nur ein paar Gedanken zum Bild. Man könnte hier natürlich viel mehr schreiben, denn allein die Symbolik des Engels wäre bereits eine ausführliche Betrachtung wert.
Kerstin