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Tischlein deck dich . . . .

Tischlein deck dich . . . .

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Neydhart von Gmunden


Premium (Basic), Hamburg

Tischlein deck dich . . . .

Knüppel aus dem Sack . . . .

Mein Blick fiel auf den „gedeckten“ Tisch. Die Speisen waren gegessen und die Getränke
getrunken. Von den Menschen, die an diesem Zaubertischlein gesessen hatten, fehlte je-
de Spur. Was war geschehen, fragte ich mich. Dabei hätten die beiden doch ein so wun-
derbares Leben führen können. Ein Tischlein, das zu jeder Zeit die ersehnte Speise fertig
bereitet auftischt. Ein Goldesel, der zu jeder Zeit soviel Goldtaler „scheissen“ konnte, das
selbst Olaf Scholz vor Neid platzen würde. Und der Knüppel, der allen Neidern mit der ver-
dienten Prügel das Fürchten lehren würde und auch konnte. All diese Wunderdinge waren
doch dazu bestimmt, Glück und Zufriedenheit seinen Eigentümern zu schenken, zumin-
dest den Weg zu ebnen. Das Tischlein stand im Raum, vom Esel und vom Knüppel fehlte
jede Spur. Im ganzen Gebäude hatte ich danach gesucht, aber nichts gefunden. Keine er-
kennbaren Spuren, weit und breit. Eigenartig, dachte ich. Vielleicht ist so ein sorgenfreies
SausundBraus-Leben ja doch nicht so gut, wie man es sonst so aus dem Märchen kennt.
Es soll ja Leute geben, die soviel Geld haben, das sie sich die Zigarre mit einem 1.000,-
Euro-Schein anzünden. Vielleicht hatten sie das gute Essen satt ? Die Schränke voller mo-
discher Schuhe und Klamotten ? Zig Autos in ihren Garagen ? Vielleicht waren sie über-
sättigt und hatten plötzlich Lust auf zähes Eselsfleisch ? Was sollten sie denn noch mit
dem Esel ? Sie waren steinreich; in einem Raum das pure Gold bis unter die Decke ge-
stapelt ? Was braucht man da noch einen Esel. Dann der Streit darüber, wer das beste
Stück Fleisch vom mittlerweile gegrillten und gebackenen Esel bekommen soll. Rotwein
und Schnaps waren schon reichlich getrunken. Der Streit eskaliert und einer der beiden
ruft: Knüppel aus dem Sack und im nu fährt der Knüppel aus dem Sack und posiert sich
demonstrativ zwischen die beiden. Wem soll er dienen ? Diente er bisher doch beiden.
Schlag zu, bellt es von links. Schlag zu, bellt es von rechts. Der Knüppel kommt ins Grü-
beln. Hatte er doch wahrgenommen, wie beide den Esel, seinen alten Freund, geschlach-
tet hatten. Er spürte, das seine beiden Besitzer diese höheren Geschenke, die ihnen einst
zu teil wurden, nicht wirklich schätzen und nutzen konnten. Sie hätten damit ja auch den
armen Menschen helfen können, um einer aktzeptablen Lebensführung wegen. Nichts da.
Stattdessen hatten sie raffgierig ihr Leben gelebt und sich beide dabei überlebt. So ist es
wohl, wenn es Menschen zu gut geht und sie dadurch in Dekadenz verfallen, weil sie das
rechte Maß nicht mehr erkennen und beachten, dachte sich der Knüppel. „Gut“, sprach er
zu den beiden. „Ich werde euch ein letztes mal helfen euer Problem zu lösen. Auch um
des lieben Friedens willen.“ Sprachs und prügelte beide aus dem Haus hinaus, in den tie-
fen Wald, über die Landesgrenze hinweg nach Polen und weiter und weiter. Irgendwo vor
oder hinter dem Ural soll sie ein hungriger Bär gefressen haben. Aber das könnte auch ein
Gerücht, gar ein Märchen sein. Vom Knüppel hat man niemehr was gehört und der Tisch,
der Tisch hatte im Laufe der Zeit seine Zauberkräfte vergessen. Denn auch ein alter Tisch
wird im Alter dement und vergisst, woher er kam und wofür er bestimmt war. Menschlich !

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