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... ein zeitloser Ort der Stille, der Muße, des Seins ...

... ein zeitloser Ort der Stille, der Muße, des Seins ...

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Neydhart von Gmunden


Premium (Basic), Hamburg

... ein zeitloser Ort der Stille, der Muße, des Seins ...

Ich mag ihn sehr, den für mich schönsten Ort in Hamburg, der alte jüdische Friedhof
in Ohlsdorf. Immer mal wieder zieht es mich dort hin; wenn ich mich erden muß, wenn
ich eins sein möchte mit der Schöpfung, wenn ich tiefe Ruhe spüren und tanken muß,
wenn ich der Zivilisation entfliehen muß, um wieder zu mir zu kommen, zur Besinnung.

Der Friedhof wird noch genutzt, ist noch aktiv. Die neuen Grabstätten verkörpern die
Gegenwart, die Moderne und stehen in einem extremen Gegensatz zum überwiegend
historischen Teil. Hier, in der Gegenwart, Ordnung und Sauberkeit; dort, in der Historie,
Mystik, Dickicht, Leben und Tod im Gleichklang und im ewigen Miteinander. Manchmal
verträumt, verspielt; manchmal wie im Leben, helfend, stützend, schützend, für immer
vereint. Grabsteine, die von wachsenden Baumstämmen in die Mangel genommen wer-
den, gar vom Sockel gestoßen, einfach umgeworfen. Dann wieder Grabsteine, die sich
müde und erschöpft an Bäume, an Äste lehnen, sich zu stützen, nur nicht fallen. Dann
wieder Äste, die sich verspielt um Grabsteine winden, wie ein verspieltes Liebespaar,
das sich immer nur umschlingen und festhalten möchte; bloß nicht los lassen, bitte jetzt
nicht auseinander gehen. Warte doch noch einen Moment, so schön in Deiner Umarm-
ung . . . Liebste, Liebster. Dann das Areal, wo sich die Natur, also das Leben über den
Tod erhebt und die Grabsteine bedeckt, überwuchert, unsichtbar macht. Kein anderer
Ort ist mir bekannt, in dem Leben und Tod so innig vereint sind, so leichtfüssig und ver-
spielt miteinander sich begegnen und necken. „Das ist ja ein Zaubergarten“, sagte einst
ein Kind zu seiner Oma. Ja, dachte ich, ein Zaubergarten und auch noch mehr: eine Of-
fenbahrung. In diesem Foto zeige ich nur einen Bruchteil dessen, was einen dort erwar-
tet, wenn man sich Zeit lässt und seinen Zugang zu diesem Garten des Lebens findet.

Commentaire 20

  • Susacu 02/08/2024 12:00

    So ein Ort ist die Quelle von Leben und Tod 
    Das Leben pulsiert im Erdreich..aber auch das Vergehen.
    Lassen wir uns ein auf die Stimmung dieses Ortes und verlieren die Angst vorm Tod können wir Frieden finden und das Leben begreifen.
    Der Tod ist Ruhe und Frieden…es ist das Sterben was uns Angst macht, die Schmerzen oder endloses verlängern des Lebens an Maschinen und Medikamente die ein Leben zur Hölle werden lassen.
    Ich wandere gerne über Friedhöfe,genieße die Atmosphäre und lasse meine Gedanken schweifen über die Menschen die dort begraben sind.
    Ich selber möchte keinen Platz dort…vielleicht nur eine kleine Stelle unter einem Baum oder im Meer verschwinden
    LG susanne
  • JEAN72 23/05/2022 18:31

    Ein mystischer Ort. Es scheint, niemand außer dir sieht diesen Zaubergarten. Hat ihn noch nicht entdeckt? Ein Ort für dich und deine Gedanken. Einen schönen Abend für dich Jean
  • webhein 24/02/2022 12:48

    Stille ist zeitlos und das tut gut
    in unserer hektomatik Welt, sehr gut tut das...
    LG Henry
    • Neydhart von Gmunden 25/02/2022 19:38

      Da sagst Du was.
      Ich suche oft Orte dieser Stille auf. Gut, in Hamburg, also in
      der selbsternannten Weltstadt, sind dies die letzten Inseln
      für ein Herunterkommen und eine Erdung.
      Manchmal denke, diese Stadt will mich in den Wahnsinn treiben.
      Lieber Gruß,
      Neydhart
  • Marina Luise 08/11/2021 19:57

    Einen Lorbeerzweig für deinen wunderschönen Text! Ich liebe alte Friedhöfe und kann deine Empfindungen durchaus nachempfinden.
    Und ich mag die Tonung, die einen aus Zeit und Raum heraushebt.
  • peju 31/10/2021 15:16

    Der reinste Urwald, so scheint es.
    Gruß
    Peter
  • -ansichtssache- 30/10/2021 14:24

    Lieber Neydhart,
    du hast wieder einmal mit wunderbaren Worten voller Poesie diesen magischen Ort sehr gefühlvoll beschrieben. Genauso habe ich es dort auch empfunden, nur kann ich es so nicht ausdrücken. Vielleicht konnte ich einen Hauch davon fotografisch einfangen.......obwohl auch Bilder das Empfinden nicht so widerspiegeln können. Wenn du magst, kannst du bei mir nochmal einen kleinen fotografischen Rundgang machen.....aber nur mit ziemlich nüchtern erklärenden Worten dazu.....
    Liebe Grüße, Danny
  • Weststrand 27/10/2021 12:20

    Ein stiller und interessanter Ort. Passende Worte zu deinem Bild. Gefällt und läßt Verweilen und Innehalten. Einen Mittagsgruß Franka
  • Clara Hase 27/10/2021 12:19

    Dein Text ist sehr schön- so typisch theatralisch deutsch - so wie wir Trauer verstehen.
    Sie ist so für mich  nicht wirklich gut auszuhalten - und 2017 war ich tatsächlich auch dort und das krasse Gegenteil zeigte eine andere Nation auf - der dia del muertos - auch auf dem Ohlsdorfer Friedhof. Natürlich fand alles in geschlossenen Räumen statt - u. anderem im alten Krematorium - denkt man mal darüber nach und andererseits an die eigenen Gräber - kam ich schon mal etwas ins schleudern. Letztes Jahr dann Corona - weltweit mit sehr vielen Toten - und es kam mir wie ein schlechtes Zeichen vor den Tag dort mit den Mexikanern erlebt zu haben.
    In Mexiko sehen die Gräber auch so ganz anders aus - aber hier werden auch mal welche gestorben sein - wie sich das dann von dem spartanischen Platten der jüdischen Gemeinde unterscheidet - bin ich nicht informiert.

    Die Natur könnte mich erden - ein Friedhof? Ne wühlt eher auf. Dann besser die Kloschüssel putzen :-)  Naja jedem seines

    https://stayhappening.com/e/dia-de-muertos-2021-E2ISU023EFE
    • Neydhart von Gmunden 28/10/2021 17:54

      Liebe Clara, 
      danke für Deinen Besuch und Deine Gedanken und Dein Mitbringsel.
      Nun ja, Friedhöfe haben entweder Magie oder sie dienen der Ab-schreckung. Mich fasziniert mehr die Magie und immer mal schöne
      Lichtstimmungen und geschichtsträchtige Namen.
      Lieber Gruß,
      Neydhart
  • HJ.B. 27/10/2021 12:07

    In Hamburg war ich noch nicht auf dem Friedhof.
    Ansonsten finde ich Friedhöfe auch für den Fotografen hoch interessant.
    In Wien war ich einen ganzen Tag auf dem alten jüdischen Friedhof.
    Ein Mekka für den Fotografen!
    Dein Foto und der Text sind, wie immer bei Dir, bemerkenswert und Quelle vieler Gedanken.
    Herzliche Grüße
    Hans Jürgen.
    • Neydhart von Gmunden 28/10/2021 17:51

      Lieber Hans Jürgen,
      danke für Deine Rückmeldung. Ja, ich finde Friedhöfe alter Schule
      beeindruckend. In Wien habe ich den Marxer-Friedhof besucht, auf
      dem Herr Mozart liegen soll. Hier ein Link:
      https://artinwords.de/friedhof-von-st-marx/
      https://www.poeschel.net/reisen/wien/stmarx.php
      Es finden sich auf den Grabsteinen z.B. Berufsbezeichnungen und sonstige soziale Statusmerkmale. So findet man z.B. Steine mit der Inschrift „geprüfte Lehrerin“ oder „bürgerliche Fischhändlerwitwe“. 
      Das war schon eine sehr aussergewöhnliche Begegnung dort. Auch der Friedhof der Namenlosen war für mich ein Besuch wert.
      http://friedhof-der-namenlosen.at/
      https://www.stadt-wien.at/wien/sehenswuerdigkeiten/friedhof-der-namenlosen.html
      Soweit hierzu.
      Herzlich grüßend,
      Neydhart
    • HJ.B. 28/10/2021 19:39

      Aus Dir spricht der Mensch, der auch den Fotoapparat benutzt, um die Seele der Menschen zu erforschen.
      Auf dem Friedhof lernt der Mensch Demut, wenn er eine Beziehung zu den Menschen aufzubauen vermag.
      Am Rednerpult der Politik habe ich noch nie einen solchen Menschen getroffen.
      Herzliche Grüße
      Hans Jürgen.
    • Neydhart von Gmunden 29/10/2021 10:57

      Ach ... Hans Jürgen, Mensch ! Danke für Deine lobenden Worte,
      obwohl ich nicht der Mensch bin, der danach hechelt. Mir ist dies
      eher unangenehm; daher gehe ich nicht immer auf diesen Deinen
      "Honig" ein. Als Sohn eines Bergarbeiters, der ich auch nach dem
      erfolgreichen Studium geblieben bin, habe ich ein ausgeprägtes
      Gerechtigkeitsempfinden geerbt und pflege diese "Bürde" bis zu
      meinem Ende. Ich habe in meinem beruflichen Sein oft Dinge er-
      tragen und befolgen müssen, die mir fremd, zum Teil zuwider waren.
      Ich habe mich beruflich immer im sozialen Bereich engagiert und
      die Welt der Raffgier und Verlogenheit und Korruption gemieden,
      bewußt. Menschlich war ich zu oft nicht besser. Aber die Seite, die
      ich wähle, ist immer die der Schwachen und Benachteiligten und
      Vergessenen. Wie einst die Bergarbeiter; das Letzte, was ein an-
      ständiger Mensch beruflich anstrebt: Bergarbeiter. 
      Jetzt, wo ich beruflich "frei" bin, jetzt habe ich Zeit herauszufinden,
      was eigentlich . . . Leben . . . ist. Dabei interessieren mich nicht
      die Schönen und Reichen, sondern die, die immer den Kopf hin-
      halten mußten und sich für die Schönen und Reichen kaputt gear-
      beitet haben und/oder an dieser Art von Leben gescheitert sind.
      So fahre ich gerne in den Osten, in Deine Heimat und horche und
      fühle und versuche zu verstehen, teile den Frust, den Kummer
      und die Hoffnung auf bessere Zeiten, wie ein Bruder unter Brüdern
      und Schwestern. Helfen kann ich leider nicht, zaubern schon gar-
      nicht.
      Herzlich liebe Morgengrüße,
      Neydhart