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Reisende (2)

Lichtstadt Jena, Zentraler Omnibusbahnhof am Paradiesbahnhof, 2013

Bearbeitung: Perspektivisch verzerren. Tonwertkorrektur: Gamma 1,3. Gradationserhöhung: S-Kurve Eingabe 175/Ausgabe 190. Farbsättigung +20.

https://www.youtube.com/watch?v=UyhkBg8wOBo

Auch ich. Goethe.

Der Olympier steht Jochen K. Schütze Modell für die Reisetheorie

Goethe war nie weg. Es gibt erste Sätze in Büchern, die nötigen einen, das Buch ungesäumt zur Kasse zu tragen. Goethe war nie weg? War er nicht an Lahn und Rhein, im Harz, in der Schweiz, in den böhmischen Bädern und, natürlich und vor allem, in Italien? Rund vierzigtausend Reisekilometer soll er zurückgelegt haben, hat man ausgerechnet. Jochen K. Schütze macht in seinem Buch Goethe-Reisen die Gegenrechnung auf. Goethe war nie weg, wenn wir dieses Wörtchen im Sinne des Hin-und-Weg, des Außer-sich-Seins verstehen dürfen. Ein "eingefleischter Reisender" (so weiß Schütze) verliere unterwegs nicht nur sich, sondern auch sein Ziel aus den Augen. Goethe hingegen wollte immer "bei sich" bleiben: ein seiner selbst bewußter Reisender, der sich auch in der Fremde mit Landsleuten umgibt, in vertrauten Milieus einrichtet, nur sieht, was er schon weiß, was er gelesen, aus der gelehrten Tradition geschöpft hat. Nur einmal, immerhin, habe er während seiner Italienreise den Boden unter den Füßen verloren: in Sizilien. "Entweder du warst sonst toll, oder du bist es jetzt", notiert er hier. Und kehrt postwendend um.

Jochen K. Schützes neun Goethe-Essays leben von der Extrapolation solcher zugespitzten Thesen. Und in der zitatkundigen, hartnäckig einer Theorie des Reisens verpflichteten Argumentation gelingt es Schütze, auch auf Goethes Reisen den fremden, den ungenierten Blick zu werfen. Goethes italienisches Incognito? Ein raffiniertes Maskenspiel, das von der Lust an der Enttarnung lebt. Goethes Flucht aus Weimar? Macht er denn nicht mit der Post aus Rom zureichend deutlich, "daß er abwesend sogar kräftiger wirken konnte als daheim"? Selbst Goethes großer Begriff der Anschauung wird kontrapunktiert. "Das Selbersehen tut nichts zur Sache oder schadet ihr gar", resümiert Schütze Goethes Rom-Erlebnis. Das ist, wie das meiste in diesem Buch, gegen die gloriose Selbststilisierung des Weimarer Reisenden (und deren naive germanistische Akzeptanz) geschrieben. Und es macht, etwa in Schützes scharfsinniger Deutung des berühmten Mottos "Auch ich in Arkadien" deutlich, daß es in Goethes Reisen nicht nur um ein Ich, sondern ebenso um das Auch geht. Reisen ist immer mit der Kränkung verbunden, daß der Reisende nur einer unter vielen ist. Das Individuum verliert die Konturen im Schatten der Konvention, des Reisebetriebs, des Tourismus. Aus Schützes Buch wird deutlich, daß gerade ein bewußter Reisender wie Goethe diese "moderne" Erfahrung immer wieder reflektiert hat - und gleichzeitig literarisch immer wieder aufzuheben verstand.

Jochen K. Schütze: Goethe-Reisen Passagen Verlag, Wien 1998; 108 S.


Licht anders sehen
Licht anders sehen
E. W. R.

Die Feder
Die Feder
E. W. R.

Duo
Duo
E. W. R.

Bildungshunger
Bildungshunger
E. W. R.

Traumreise
Traumreise
E. W. R.

Von der Gewissheit künftiger Wege
Von der Gewissheit künftiger Wege
E. W. R.


Reisende
Reisende
E. W. R.

Goethe in Italien
Goethe in Italien
E. W. R.

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