Vor dem Gesetz
Franz Kafka: Vor dem Gesetz (1915)
Vor dem Gesetz steht ein Türhüter. Zu diesem Türhüter kommt ein Mann vom Lande und bittet um Eintritt in das Gesetz. Aber der Türhüter sagt, daß er ihm jetzt den Eintritt nicht gewähren könne. Der Mann überlegt und fragt dann, ob er also später werde eintreten dürfen. »Es ist möglich«, sagt der Türhüter, »jetzt aber nicht.« Da das Tor zum Gesetz offensteht wie immer und der Türhüter beiseite tritt, bückt sich der Mann, um durch das Tor in das Innere zu sehn. Als der Türhüter das merkt, lacht er und sagt: »Wenn es dich so lockt, versuche es doch, trotz meines Verbotes hineinzugehn. Merke aber: Ich bin mächtig. Und ich bin nur der unterste Türhüter. Von Saal zu Saal stehn aber Türhüter, einer mächtiger als der andere. Schon den Anblick des dritten kann nicht einmal ich mehr ertragen.« Solche Schwierigkeiten hat der Mann vom Lande nicht erwartet; das Gesetz soll doch jedem und immer zugänglich sein, denkt er, aber als er jetzt den Türhüter in seinem Pelzmantel genauer ansieht, seine große Spitznase, den langen, dünnen, schwarzen tatarischen Bart, entschließt er sich, doch lieber zu warten, bis er die Erlaubnis zum Eintritt bekommt. Der Türhüter gibt ihm einen Schemel und läßt ihn seitwärts von der Tür sich niedersetzen. Dort sitzt er Tage und Jahre. Er macht viele Versuche, eingelassen zu werden, und ermüdet den Türhüter durch seine Bitten. Der Türhüter stellt öfters kleine Verhöre mit ihm an, fragt ihn über seine Heimat aus und nach vielem andern, es sind aber teilnahmslose Fragen, wie sie große Herren stellen, und zum Schlusse sagt er ihm immer wieder, daß er ihn noch nicht einlassen könne. Der Mann, der sich für seine Reise mit vielem ausgerüstet hat, verwendet alles, und sei es noch so wertvoll, um den Türhüter zu bestechen. Dieser nimmt zwar alles an, aber sagt dabei: »Ich nehme es nur an, damit du nicht glaubst, etwas versäumt zu haben.« Während der vielen Jahre beobachtet der Mann den Türhüter fast ununterbrochen. Er vergißt die andern Türhüter, und dieser erste scheint ihm das einzige Hindernis für den Eintritt in das Gesetz. Er verflucht den unglücklichen Zufall, in den ersten Jahren rücksichtslos und laut, später, als er alt wird, brummt er nur noch vor sich hin. Er wird kindisch, und, da er in dem jahrelangen Studium des Türhüters auch die Flöhe in seinem Pelzkragen erkannt hat, bittet er auch die Flöhe, ihm zu helfen und den Türhüter umzustimmen. Schließlich wird sein Augenlicht schwach, und er weiß nicht, ob es um ihn wirklich dunkler wird, oder ob ihn nur seine Augen täuschen. Wohl aber erkennt er jetzt im Dunkel einen Glanz, der unverlöschlich aus der Türe des Gesetzes bricht. Nun lebt er nicht mehr lange. Vor seinem Tode sammeln sich in seinem Kopfe alle Erfahrungen der ganzen Zeit zu einer Frage, die er bisher an den Türhüter noch nicht gestellt hat. Er winkt ihm zu, da er seinen erstarrenden Körper nicht mehr aufrichten kann. Der Türhüter muß sich tief zu ihm hinunterneigen, denn der Größenunterschied hat sich sehr zuungunsten des Mannes verändert. »Was willst du denn jetzt noch wissen?« fragt der Türhüter, »du bist unersättlich. « »Alle streben doch nach dem Gesetz«, sagt der Mann, »wieso kommt es, daß in den vielen Jahren niemand außer mir Einlaß verlangt hat?« Der Türhüter erkennt, daß der Mann schon an seinem Ende ist, und, um sein vergehendes Gehör noch zu erreichen, brüllt er ihn an: »Hier konnte niemand sonst Einlaß erhalten, denn dieser Eingang war nur für dich bestimmt. Ich gehe jetzt und schließe ihn.«
https://de.wikipedia.org/wiki/Vor_dem_Gesetz
Jadugaar 29/02/2020 21:11
Du musst es achten, auch wenn andere es umgehen. Es trifft auf dich zu, sei brav und folge, dass es dir nicht zum Verhängnis wird! Schau zu, wenn du krumme Wege gehst, dass man dich nicht erwischt, sonst trifft dich die volle Härte des Gesetzes. Gesetze sind richtig und wichtig! Halte Dich daran! Vor dem Gesetz sind alle gleich! Nun, ja, mit Ausnahmen, wie es für Regeln üblich ist.So ist es, basta (oder ein anderes Kanzler-Wort).
Erziehung mit dem Ziel einer gelernten Hilflosigkeit, damit wenigstens an einer Stelle im Leben alles so bleibt, wie es ist. Natürlich auch ein Irrtum! Aufstehen, den Sinn von Gesetzen vor dem Hintergrund gesellschaftlichen Wandels zu hinterfragen, sie anzupassen und zu verändern, statt kleingehalten nur in Ehrfurcht vor ihnen zu erstarren. Gesetze sind menschengemacht und brauchen die fortgesetzte Behebung der darin eingewobenen, dem Zeitgeist unterliegenden Ideologien sowie anderen menschlichen blinden Flecken. Unabhängig davon leben wir glücklicherweise in einer rechtssicheren, wenn auch nicht durchgehend gerechten Gesellschaft mit einem einzigartigen Grundgesetz.
Das Verhältnis von Person und monumentaler Architektur bringt das ehrfurcht-gebietende Moment in den Vordergrund, mit seinen unmittelbaren Auswirkungen auf Wahrnehmung und Verhalten.
LG Jadugaar
E. W. R. 09/11/2018 8:33
Tatsächlich bewusst komponiert. War gar nicht so einfach. ;-)felipe Martínez Pérez 20/08/2018 17:30
Excelente composición.Markus Novak 30/07/2018 19:00
Ich habe das eigentliche Bild eigentlich noch gar nicht ausreichend gewürdigt, denn Du hast aus einem tollen Motiv ein klasse Bild gemacht und dabei auch überaus sauber ausgerichtet! Auch die Gestaltung ist wirklich richtig gut . Ein klasse Bild!LG markus
UK-Photo 10/07/2018 6:30
... die Gleichförmigkeit der Architektur paßt hier wunderbar zu dem Voranschreiten des Paares ... der Schattenwurf, der ihnen vorangeht, ist das "i"-Tüpfelchen.Der Text läßt einen nachdenklich zurück ....
LG
Uli
Maud Morell 02/07/2018 19:48
Zu Zweit sind sie stärker und die Angst wird geteilt, verliert an Kraft.Das Foto und der Text, sehr schöne Präsentation.
LG von Maud
Markus Novak 30/06/2018 12:02
das ist ja wirklich ein immer noch ganz aktueller Text von Kafka, der uns heute wohl noch nachdenklicher hinterlässt als zu der Zeit in der er geschrieben wurde!!Wirklich beeindruckend!!
Auch Dein Bild ist sehr gut und auch wirklich sehr passend zu dem Text von Dir ausgesucht worden!!
LG markus
† werner weis 10/06/2018 23:09
selbst der Schwarze Block braucht Gerichts-Aktengut, wenn sie noch in einen Rucksack passen
Mauro Tomassetti 05/06/2018 20:59
Excellent street picture!† dannpet 04/06/2018 19:43
.Ein lieber FC Freund beschreibt es so: "Franz Kafka, surrealistische Sprachmagie in stilistisch cooler Verpackung." (Ernst Lipps)
... sprich, Kafka ist schon 'ne Nummer für sich. Er mochte mit seinem Text, seiner Parabel, die er selbst nicht als Parabel, sondern als Legende bezeichete, die allgemeine Ungerechtigkeit und Rechtsbeugung im Fokus gehabt haben. Ich meine jedoch es war mehr als nur das!
So schaue ich auf dein Foto und frage mich:
Kann man Einlass ist das Gesetz finden, wenn der Schatten, den man selbst wirft, es verhindert? Gibt man sich nicht viel zu schnell mit einer Antwort zufrieden? Sollte man nicht, um Einlass in das Gesetz zu finden, zunächst die richtigen Fragen stellen, die Antworten nicht in irgendeinem Gebäude, einem Konstrukt aus Wahrheit und Lügen, suchen, sondern in sich selbst?
Gesetze, politische Gebilde, egal welche, werden irgendwie immer als übergeortnete Systeme wahrgenommen, die unbedingt vor uns Menschen dagewesen sein müssen.
Wie sich Systeme entwickeln und sich dann selbst, durch jeden einzelnen von uns, am Leben erhalten, beschreibt m.E. "Das Schloß" noch besser als "Der Prozess:
Wir finden keinen Einlass, weil wir uns gegenseitig den Zutritt verwehren!
Kafkas Figuren buckeln allein vor der bestehenden Möglichkeit, sie wählen die Kette, weil sie sich vor der Wahrheit fürchten.
Doch wie kann man die Wahrheit irgendwo finden, wenn man nicht selbst Teil dieser Wahrheit ist, sich nicht selbst als Teil z.B. des Gesetzes erkennen kann?
Im "Das Dritte Oktavheft" von Kafka ist folgender Satz zu lesen:
"Nicht jeder kann die Wahrheit sehen, aber jeder kann die Wahrheit sein."
... z.B. die Wahrheit darüber, dass wir es sind, die anderen Menschen Macht über uns verleihen?
Dann schreibt Kafka in "Die Zürauer Aphorismen", 1931 von Max Brod unter dem Titel "Betrachtungen über Sünde, Hoffnung, Leid und den wahren Weg" veröffentlicht, folgenden Satz:
"Wahrheit ist unteilbar, kann sich also selbst nicht erkennen; wer sie erkennen will, muß Lüge sein."
Was könnte Kafka damit meinen? Ist es tatsächlich nur eine seiner "Wortverdrehungen"?
Wahrheit ist selten das, was uns als Wahrheit verkauft wird. Man muss sie in Frage stellen, muss sich selbst als Rad im Getriebe erkennen, muss erkennen, dass die Wahrheit, die mir Wahrheit scheint nicht in mir zu finden ist. Somit werde ich zu ihrer Lüge.
Kafkas Betrachtungen über Wahrheit und Lüge ziehen sich wie ein roter Faden durch seine Schriften:
"Alles, selbst die Lüge, dient der Wahrheit; Schatten löschen die Sonne nicht aus."
So würde ich hinter der Legende "Vor dem Gesetz" zunächst Fragen suchen. Fragen, die mich selbst beträfen.
Bin ich Wahrheit oder bin ich Lüge?
Bin ich gar das Gesetz, welches sich vor mir zu verschließen droht?
Kann ich die Wahrheit erkennen, will ich sie überhaupt erkennen?
etc. pp.
Der Mann vom Lande, der um Einlass in das Gesetz bittet und sein Leben an eine Vorstellung, an eine ihm unbekannte Wahrheit verliert, genau dieser Mann ist die Wahrheit und gleichzeitig auch ihre Lüge. Diese Tür war nur ihm bestimmt, weil er es so gewählt hatte.
Warum wirken die Gebäude, die Kafka mit seinen Worten errichtet, die dann visualisiert wie Betonfestungen erscheinen, so bedrohlich? Vielleicht, weil sie die Wahrheiten der großen Lügen beschreiben?
Soweit erstmal, zu meinem Versuch einer Interpretation.
Dein Foto habe ich bereits meinen Favoriten einverleibt, weil ich die Auseineinandersetzung mit Kafka, vor dem Hintergrund deines Fotos spannend finde.
Herzliche Grüße, Peter
.
jule43 02/06/2018 20:54
Vor dem Gesetzt sind sie wahrscheinlich Mann und FrauWohin des Weges frage ich mich ?
Doch hoffentlich nicht in die Hallen dieses Betonbunkers ?!
Der als Foto super wirkt ! Aber auch etwas bedrohlich auf mich wirkt ! Hat auch was von Justizgebäude !
LG jule
Christoph Beranek 30/05/2018 13:08
Hier erfährt die Parabel von Franz Kafka eine bildhafte Entsprechung. Ein martialisches Gebäude, abweisend, unverrückbar in seiner Architektur, in der zwei Menschen klein und verloren wirken. Die farbliche Reduzierung verstärkt diesen Eindruck. Die Bedeutung des geschriebenen Rechts wird zur Farce, wenn es machtpolitisch überlagert wird und von Gewohnheitsrechten beeinflusst wird. Der aktuelle Auto / Diesel - Skandal ist ein Beispiel für diese Form der Rechtsbeugung. Die betrogenen Käufer haben kaum eine Chance auf eine Entschädigung und die Akteure der Autoindustrie haben kaum etwas zu befürchten ( anders als in den USA, wo die Käufer einen Anspruch auf Entschädigung haben und die Manager der Autoindustrie zur Rechenschaft gezogen werden). F. Kafka hat diese Diskrepanz in seinen Werken ( der Prozess ) literarisch beschrieben, weil er sie als jüdischer Bürger der Donau - Monarchie selber erfahren hat. Zwar gewährte der Staat seinen jüdischen Bürgern eine völlige rechtliche Gleichstellung, so das geschriebene, verfasste Recht. Die Wirklichkeit sah aber ganz anders aus. Wer eine gehobene oder auch einfache Beamtenstelle anstrebte , musste zum Katholizismus konvertieren, so das ungeschriebene Gesetz. So blieb ihm nur eine Stelle als Jurist bei einer Versicherungsagentur. Eine Auseinandersetzung die sehr aktuell erscheint, wenn man sich die Entwicklung in einigen Ost - EU Ländern ( Polen & Ungarn) ansieht, wo die Judikative als eigene, autonome Gewalt, von der Politik weitgehend abgeschafft wurde .Eine besorgniserregende Entwicklung, die sich von demokratischen Prinzipien verabschiedet.
Kompliment für Deine Bild / Text Darstellung.
LG Christoph
† gre. 28/05/2018 16:54
Eine ansprechende, gekonnt präsentierte Arbeit -gute Grafik, tolle Tonung
wenn ich Sterne zu vergeben hätte, wäre diese Aufnahme mein Favorit.
LG gre.
Ruth U. 25/05/2018 19:05
Was für eine Geschichte, ich kannte sie noch nicht, aber so typisch für Kafka, dass seine Protagonisten sich hoffnungslos verlieren, die Geschichte passt auch heute ... über die faszinierende Erzählung habe ich Dein Bild ganz vergessen, nun habe ich es noch mal genauer betrachtet, das ist richtig gut gemacht, schöne Grafik und klasse Bildaufbau, ganz mein Geschmack.LG Ruth
Michael Jo. 25/05/2018 16:08
vor dem Gesetz- und / oder auch NACH dem Gesetz .. ?
F.K. hat sich auch in seinem Werk > Das Urteil <
damit auseinander gesetzt.
Die mit Steinplatten kaschierte ' moderne '
Fassade dieses Beton-Zweckbaus
weckt Assotiationen an die monoton-uniformen
Einheits-Fassaden des neuen BND-Gebäudekomplexes
mitten in Berlin ... ,
auch so eine nebulöse möchtegern-im Halbdunkel
bleibende, quasi-" Gerichts"-Institution, gegen die der
in deren Fokus geratene Bürger (ob tatsächlich ' bescholten '
oder unbescholten ) oft nur im kafkaesken Grübeln
versinkt .. - wenn er sich absolut ' im falschen Film '
wähnt ...
Vor des Gesetzes Wirksamkeit gilt hierzulande
grundsätzlich erstmal die Unschuldsvermutung,
zumindest die Beweisführung ob .. und wie und was ...;
'NACH dem Gesetz ' - will meinen: nach dem
Richterspruch allerdings sind durchaus auch hierzulande
die Bürger gelegentlich in 2 (zwei !) Klassen zu
unterscheiden:
in die ohne teure Anwaltskanzleien zu ' ihrer Rechten ',
und in solche, die - wenn sie Glück haben - sich
der Hilfe einer entsprechenden Assekuranz oder einer
Gewerkschaft versichern konnten.
Wer von Justitias ' Gerechtigkeit ' respektive
Rechthaberei ..ein Lied singen kann,
ist z.B. jener Gustl Mollath, der schlussendlich
doch sein Recht bekam, und über dessen Fall
eine bayersiche Justizministerin zurücktreten musste !
(im Nachhinein nochmal mein hämischer Gruß
ins Land der Lederhosen und der Trachtenjodler
unter der Sankta Bavaria .. * gg *).
Auch jene vielversprechenden Ex-Steuerfahnder eines
Finanzamtes, denen ein ' Gutachter ' rein fernschriftlich eine
für die weitere Ausübung ihres Amtes geistige
Unzurechnungsfähigkeit attestierte ... und sie damit
in die Frühpension geschickt wurden ... , allein weil
auf Geheiss eines Ministerpräsidenten ein willfähriger
Landes-Finanzminister die Aufdeckung gewisser
unangenehmer Steuerbetrügereien prominenter Wirtschaftsbosse
vertuscht werden sollten.
Der Lohn für diesen ' Dienst ': weitere Aufklärung im Keim erstickt
und dem Bundesland damit Millionen Euros ' durch die Lappen ' ...
Und welch Steine hat man einst einem ' allzu forschen ' Staatsanwalt
noch in der Adenauer-Ära in den Weg gerollt,
als es um die Aufklärung der Verbrechen etlicher ' Ex- ' Nazi-
Grössen, KZ-Kommandeure u. deren Handlanger ging ... ???
Tja, die Türhüter der Macht fühlen sich gerne
auch in unserem Nachkriegs-System als unantastbar,
unverzichtbar und wichtig .. .. ;-((
Die Herrschaft an der Macht aber ' wäscht seine (ihre) Hände
in Unschuld ', - Motto: >nix gehö.., nix geseh.., nix gewu... <
- und die Kassiererin von der Supermarktkasse wird wg.
vermeintlicher Unterschlagung eines Pfandbons für schuldig
befunden ....
Michael